Dienstag, 31. März 2020

Alte Eltern, neu erwachte Liebe

















Seit 63 Jahren sind meine Eltern nun verheiratet. Im letzten Jahr besuchten sie zum ersten Mal ein Ehewochenende. Meine Mutter lachte: «Das hat jetzt gedauert, bis Willy dazu bereit war.» Ja, das hat gedauert. Und offenbar hat es sich auch gelohnt. Jedenfalls berichtete mir meine Mutter, dass sich mein Vater seither mehr Mühe gebe. Was immer das heissen mag, sie schien sehr zufrieden zu sein und vom Wochenende hat sogar mein Vater geschwärmt.

Anfang Jahr bekam er dann die Gelegenheit, seine Liebe zu meiner Mutter einmal mehr handfest unter Beweis zu stellen. Das kam so: Meine Mutter ist in der Waschküche gestürzt. Weil sie sich mit dem linken Arm aufstützen wollte, hat sie das Handgelenk gebrochen. Die ganze linke Seite, vom Gesäss an abwärts, tut ihr seither weh. Und sie hat starke Rückenschmerzen. Dagegen bekommt sie Medikamente, die sie leider nicht so gut verträgt. Deshalb hat sie immer wieder massive Verdauungsprobleme.

Dieser Unfall brachte meinen Vater in die Sätze. Meine Mutter, die nach wie vor bezüglich des Haushalts und der Küche Regie führte, war auf einmal ausser Gefecht gesetzt. Und obendrauf: Sie konnte nicht nur nichts mehr tun, sondern verschaffte meinem Vater auch noch eine Menge Arbeit. Auf ihrem Nachttischchen stand ein Glöckchen, das sie gerne und häufig benutzte. So hörte mein Vater, egal wo er sich gerade aufhielt, dass er gebraucht wurde.

Mein Vater ist gerannt und gesprungen, hat hier ein Teelein gekocht und da ein Mittagessen, hat gebracht und geholt, hat eingekauft und gewaschen, ist gefahren und gelaufen… Und als meine Mutter für kurze Zeit im Spital war, hat er sie aufs Schmerzlichste vermisst: Ihm ist bewusst geworden, wie lange er schon gemeinsam mit ihr unterwegs ist und dass irgendwann die Zeit des Abschieds kommen wird. Es ist ja nicht immer einfach, zu zweit zu sein, so nah und pausenlos, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Deshalb ist die Stimmung manchmal ziemlich gereizt. Eh ja, man muss sich unzählige Male am Tag wiederholen, weil der Andere nicht mehr gut hört. Und alles dauert so lange, alles ist anstrengend und überhaupt: Altwerden ist nicht lustig.

In den letzten Wochen habe ich beobachtet, dass der Ton zwischen meinen Eltern weicher wurde. Anstatt sich übereinander zu ärgern, fingen sie an, nachzufragen: «Wie meinst du das jetzt?» Anstelle der leicht genervten Frage «He?», kam ein ruhiges «Ich habe dich nicht verstanden, sagst du’s nochmal?». Und meine Mutter erzählte mir strahlend: «Du glaubst gar nicht, wie liebevoll Willy mich pflegt. Und wie gut er kocht. Er gibt sich so Mühe und er macht das so gut.» Und mein Vater versicherte mir, wie gerne er sein Friedely versorgt – so anstrengend das auch immer sein mag.

Und es war anstrengend und zwar für beide. Die Unterstützung, die sie durch die Spitex, meiner Schwester, mir und unseren Brüdern bekommen haben, war dringend nötig und haben sie sehr geschätzt. Ich habe in dieser Zeit eine Nähe zu meinen Eltern erlebt, die mich sehr berührt hat. Das Sitzen am Bett meiner Mutter, das Erzählen und Zuhören, die Berührungen, das gegenseitige Streicheln und Halten – das war Balsam für mein Herz. Das Kaffeetrinken mit meinem Vater, ihm zuhören, ihn ermutigen und bestätigen, ihn drücken und halten – auch das: Seelenbalsam. Und ja, sie bleiben meine Eltern, auch wenn wir die Rollen in gewissen Bereichen getauscht haben.

Apropos Rollentausch: Es war wirklich der Stolz meiner Mutter, zu wissen, wie man einen Haushalt gut führt. Sie ist eine vielseitige Köchin und Hausfrau und hat bis vor ihrem Sturz immer wieder neue Menüs ausprobiert, trotz ihrer Müdigkeit und ihren zittrigen Händen, die sie manchmal fast zur Verzweiflung bringen. Wenn ich meine Mutter heute etwas frage was den Haushalt betrifft, sagt sie: «Frage deinen Vater, er ist jetzt der Chef.» Gestern, als ich sämtliche Vorhänge für sie gewaschen habe und sie fragte, wie sie das mache, mit welchem Waschmittel und so, bekam ich die gleiche Antwort. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass mein Vater noch nie Vorhänge gewaschen, dass sie das die letzten 60 Jahre gemacht habe. Sie sagte nur: «Ja, das mag sein. Aber jetzt nicht mehr. Frage deinen Vater.» Sie haben also ihre Rollen definitiv getauscht: Während mein Vater freudig und stolz Regie führt in Haushalt und Küche, fühlt sich meine Mutter sichtlich wohl in der Rolle von der, die umsorgt und bekocht wird.



















Die Bereitschaft meiner Eltern, sich auf das einzulassen, was ist, beeindruckt mich. Und dazu noch sehen zu dürfen, wie entschlossen sie ihre Liebe zueinander leben, das tut mir unendlich gut. Das macht mich stolz. Sie haben diese strenge Zeit genutzt, um sich ganz neu aufeinander einzulassen und ihre Rollen zu tauschen. Ob das so bleiben wird? Ich bin gespannt. Ich bin ihnen sehr dankbar für das, was sie mir vorleben: Dass offenbar nichts so deutlich und klar macht, wie das Alter mit seiner Weisheit, was im Leben wirklich zählt.

Dienstag, 11. September 2018

Ein unermüdlicher Tüftler und leidenschaftlicher Koch oder: Von einem, der liebt, was er tut


*Ich tingle wieder einmal ein bisschen durch die Schweiz: Im Auftrag eines Kunden darf ich Wirte interviewen. Dabei begegnen mir Männer und Frauen, die von Herzen gerne tun, was sie tun, jeder und jede auf seine und ihre ganz eigene Art. Von einem von ihnen muss ich berichten. Es ist Albi von Felten, der zusammen mit seiner Frau das Landhotel Hirschen in Obererlinsbach führt.


Albi von Felten bringt seinen Gästen die Schönheit der Natur auf den Teller. Seine Liebe zur Region, zur Natur und dem, was sie schenkt, berührt und macht gwundrig. Auch seine Person interessiert: Albi ist authentisch und bodenständig, ihm gegenüber zu sitzen und ihm zu zuhören, ist eine Freude. Seine Liebe und sein Respekt gegenüber der Natur ist ganz praktisch und konkret: „Wenn ich eine Tomate an der Mutterpflanze ausreifen lasse, hat sie aromatisch und energetisch unglaublich viel zu bieten. Natürlich kann ich sie pflücken, bevor sie ausgereift ist und sie nachreifen lassen. Aber sie wird nie zu dem, was sie sein kann, wenn ich ihr nicht die Zeit gebe, zu werden, was sie wirklich ist.“ 

















Lebensmittel sind Mittel, die leben
Für Albi haben Lebensmittel nicht nur einen Energiewert, den man in Kalorien messen kann, sondern auch eine gewisse Energetik, die zwar schwer zu messen ist, die man aber braucht, damit man eine gute Ausstrahlung hat. „Man ist, was man isst“. Diese Energetik kommt dann am besten zum Zug, wenn eine Frucht oder ein Gemüse möglichst lange an der Mutterpflanze reifen kann. So wachsen richtig gute Lebensmittel heran. Albi generiert also nicht nur regionale Produkte, sondern wirklich gute, wert-volle Produkte im Sinne von: Die Natur wird gut behandelt, für das Produkt ist es sinnvoll und dem Produzenten macht es Spass, sie zu produzieren.

















Konsequent umgesetzt
Als er vor 20 Jahren den Betrieb seinen Eltern abgekauft hat, war für ihn klar, dass er sich auf die Region konzentrieren wollte, schlicht weil er so einfacher und mehr Einfluss auf die Produkte und deren Herstellung nehmen kann. Das bedeutete für ihn viel Arbeit und für seine Gäste den Verzicht auf Altvertrautes: So nahm er die Seezunge von der Karte, die bei den Gästen begehrt war. Die Seezunge wird ausgefischt, also ersetzte Albi sie durch einen Süsswasserfisch. Sein Vater schüttelte den Kopf und seine Gäste verstanden ihn nicht. Dabei erinnerte er sich an das, was sein Grossvater ihm sagte, als er ein kleiner Junge war. Er zeigte ihm einen Baumstamm und sagte: „Schau hin, Albi, du erkennst das Alter dieses Baumes an seinen Jahresringen. Die einen sind näher beisammen, die anderen weiter. Wenn sie weiter auseinander sind, hatten sie ein fettes, ein optimales Jahr. Wenn sie näher zusammen sind, dann hatte der Baum ein Problem, er musste vielleicht leiden. So geht es auch uns, wir haben nicht nur fette Jahre, sondern auch harte. Das ist das Leben.“

















Und so begann für Albi ein harter und gleichzeitig spannender Weg. Er hat angefangen, sich intensiv mit Produzenten und Produkten auseinanderzusetzen. Wenn da jemand kommt und ihm seine Beeren unter die Nase hält und fragt: „Wären die nicht etwas für dich?“, ist er immer interessiert. Er probiert die Beeren. Entsprechen sie nicht seinen Vorstellungen, dann sagte er: „Schon mal nicht schlecht. Bist du bereit, mit mir zusammen daran zu arbeiten? Neues auszuprobieren?“ Steigt der Produzent darauf ein, beginnt ein gemeinsamer Weg.


Ein starkes Team
Wenn ich hier von Albi schreibe, dann sollte ich eigentlich von Albi und Silvana schreiben. Ich tu’s der Einfachheit halber nicht, möchte aber doch betonen, dass der Albi ohne seine geliebte Silvana nicht wäre, was er ist. Das sagt er während unseres Gesprächs immer wieder. Sie zieht mit, sie denkt mit, sie unterstützt ihn und das Tag für Tag. Das ganze Team ist für Albi wichtig, denn was er hier und heute und die letzten zwanzig Jahre geleistet hat, das ist keine One-Man-Show. Das ist harte, ehrliche und freudige Teamarbeit.

















Von Kontinent zu Kontinent
In seinen jungen Jahren hat Albi als Backpacker und Koch jedes Jahr einen anderen Kontinent bereist. Mit im Gepäck: seine Kochjacke und ein weisses Hemd. Die Kochjacke hat er immer dann ausgepackt, wenn es ihm an einem Ort gefallen und man ihm erlaubt hat, ein, zwei Tage mitzuarbeiten, damit er einen Betrieb kennenlernen konnte. Das weisse Hemd kam dann zum Einsatz, wenn er ein feines Restaurant besuchen wollte. Schliesslich stellte er fest, dass er sich dann wirklich wohl fühlte und ihm das Konzept wertvoll erschien, wenn der Betrieb mit regionalen Produkten arbeitete und diese auf einem überdurchschnittlichen Niveau zubereitete. 

Reisen inspiriert
Noch heute reist er gerne. Zusammen mit Silvana besucht er Orte, wo es gutes Essen gibt und wo Wein wächst. „Da ist alles immer viel emotionaler, das mag ich“, erklärt er. Sie bleiben innerhalb Europas, reisen vielleicht nach Hamburg, Lissabon, Barcelona oder in die Provence. „Hier gibt es viele Orte, die eine lange Tradition haben, wo etwas gewachsen ist und diese Verwurzelung, das Bodenständige, das spürt man. Wir versuchen jeweils, die Aura zu ergründen und fragen uns, weshalb es uns wohl ist. Und wir nehmen mit nach Hause, was uns inspiriert. Es gelingt nicht immer, das umzusetzen, was wir uns vornehmen, wir sind halt noch immer Anfänger und das ist doch schön.“

Diese Reisen sind sehr wichtig für ihn. Denn immer mal wieder spürt er eine Unruhe in sich, zieht es ihn fort. Deshalb ist er froh, dass er sich seinen Eltern gegenüber verpflichtet hat, das hält ihn hier. Als Küchenchef fünf Jahre hier und fünf Jahre da zu arbeiten, das ist reizvoll. Auf der anderen Seite hätte er nie die Möglichkeit, sich das aufzubauen, was er sich in den letzten Jahren aufgebaut hat. Und das, was er heute anbietet, die Spezialitäten und das Niveau, das macht ihm so schnell keiner nach.

Das Weinhaus am Bach
Im Herbst 2017 kam das „Weinhaus am Bach“ dazu. Das Besondere: Zwanzig Schweizer Winzer und Winzerinnen gestalteten je ein Zimmer, dazu vier Prominente, die in Nachbarländern edle Tropfen herstellen. Daneben bietet das Weinhaus auch viel Platz zum Verweilen, zum Arbeiten oder schlicht zum Geniessen eines feinen Tropfens. Im Grossen wie im Kleinen zeigt dieses Haus, mit wie viel Liebe und Engagement Albi und Silvana von Felten dieses geplant und eingerichtet haben. Kein Wunder also, dass das Weinhaus begehrt und gut gebucht ist – was natürlich auch im Restaurant spürbar ist. Dazu Albi von Felten: „Im Moment treffen wir voll und ganz den Zeitgeist, davon profitieren wir. Als wir vor 20 Jahren angefangen haben, war die Situation völlig anders. Zeitgeist hin oder her: Wir tun, was wir tun aus Überzeugung, nicht weil es Trend ist.“


* Leider ist in diesem Programm im Moment keine Gestaltung möglich. Die Schriftgrössen und Abstände erscheinen völlig willkürlich, da kann ich einstellen, was immer ich will. Sorry!